Hai, Barrakuda & Co.
Auf dem Fischmarkt von Negombo. Sri Lanka 1984
 
 
Negombo ist eine Stadt mit 125.000 Einwohnern, sie liegt an der Westküste Sri Lankas, rund 30 Kilometer von der Hauptstadt Colombo entfernt, es gibt dort mehrere Kirchen - die Bewohner Negombos sind überwiegend katholisch, eine Minderheit im Lande der Buddhisten und der Hindus - sowie eine gut ausgebaute touristische Infrastruktur mit Hotels unterschiedlicher Kategorien sowie Restaurants mit einer abwechslungsreichen Küche. Und es gibt eine Attraktion, die in jedem Reiseführer erwähnt wird, und das zu Recht, denn diese Attraktion ist wahrlich sehenswert: einen Fischmarkt.
 
Fisch scheut die Hitze, die hier, knapp nördlich des Äquators, das ganze Jahr über herrscht, und deshalb beginnt der Markt zu einer Zeit, in der die meisten Touristen noch schlafen. Bereits vor Sonnenaufgang laufen die ersten Fangboote ein, die Oruwas mit den geblähten Segeln, und schieben sich knirschend auf den Strand. Negombo ist einer der wichtigsten Fischereihäfen an der Westküste der Insel, und entsprechend groß ist ihre Zahl. Die ganze Nacht über waren die Männer draußen, manche auch mehrere Tage - nun zeigt sich, wie erfolgreich sie waren. Wir stehen vor einem Boot, dessen Besatzung Glück gehabt hat. Ein paar Haie liegen an Deck, in Kisten und Körben können wir Tintenfische, Barrakudas und einen Rochen ausmachen. Ein ansehnlicher Fang, der von mehreren Männern an Land gebracht wird, wo andere sie schon erwarten. Ebenso exotisch wie die Fische sehen für uns die Männer aus, drahtig und braungebrannt, mit Tüchern um die Hüften, bunten Hemden und mit Kopftüchern als Schutz gegen die Sonne, die sich - während wir dabeistehen und alles beobachten - langsam über den Horizont schiebt. Wortreich geht das alles zu, wobei viele Worte vermutlich überflüssig wären, denn alles ist Routine, ein eingespielter Ablauf, den jeder kennt. Aber viele Worte gehören nun einmal dazu, an diesem Boot ebenso wie an den anderen, die nach und nach das Ufer erreichen, mit der Folge, das sich ein beständig anschwellender Klangteppich über den Strand legt, der bis zur Straße mit den hochstämmigen Palmen reicht, die malerisch den Ort des Geschehens begrenzen. Erst gegen Mittag wird er allmählich verebben, wenn alle Boote entladen sind, die Käufer ihren Heimweg antreten und die Touristen zu neuen Sehenswürdigkeiten aufbrechen. Dann wird der Markt ein Ende finden. Ein kurzes Ende freilich, denn schon am nächsten Morgen werden alle Beteiligten wieder da sein, und das bunte Spektakel wird von neuem beginnen.
 

Ein Mann hebt ein langes Messer, lässt es niedersausen und schlägt einem Thunfisch den Schwanz ab, danach die Flossen, dann wirft er ihn zur Seite, wo ein anderer Mann sich daran macht, den Fisch gekonnt zu zerlegen. Die ersten Kameras klicken. Die Sonne steht inzwischen ein gutes Stück über den Palmen, das ist die Zeit, wenn das Frühstück in den Hotels beendet ist und die Touristen sich zeigen. Die einen kommen auf eigene Faust, die anderen in Gruppen, angeführt von einem Einheimischen, der sie sachkundig durch das Gewühl schleust und Erklärungen abgibt. Doch nur wenige hören ihm zu, weil sie vollauf mit Fotografieren beschäftigt sind. Aber das Zuhören ist auch kaum nötig, denn viel braucht man nicht zu wissen. Hier muss man vor allem die Augen aufsperren und schauen, muss das geschäftige Treiben auf sich wirken lassen, in das quirlige Durcheinander eindringen und sich dabei Zeit nehmen, denn es ist viel, was dieser Ort zu bieten hat.
 
Fischer sammeln hängengebliebene Fische aus ihren Netzen, andere flicken die Netze und bereiten sie sorgfältig für den nächsten Fang vor. Vögel schauen ihnen dabei zu und warten, ob etwas für sie abfällt. Eine Frau hockt am Boden hinter Körben, sie wünscht uns einen guten Tag, wir grüßen zurück. Sie deutet auf einen Korb mit Papageienfischen, deren Schuppenhäute bunt in der Sonne glänzen. Wir winken ab. Zweifellos schmecken sie lecker, aber leider haben wir nur Bett, Tisch und Stühle in unserer Unterkunft, keine Kochgelegenheit, also können wir mit den Fischen nichts anfangen. Die Frau ist nicht enttäuscht, sie nickt kurz, wendet sich dann ab und spricht den nächsten Vorbeikommenden an. Einen jungen Mann mit einem Motorradhelm im Arm und einem Outfit, dass man Jahre später als "cool" bezeichnen würde. Ein paar Fische wechseln den Besitzer, ein paar Scheine wandern in die andere Richtung, und der Käufer zieht zufrieden von dannen. Wir sind neidisch und beschließen, heute ebenfalls noch einen Fisch zu essen, wo auch immer.
Frauen mit Körben auf den Köpfen, ein paar Mädchen, die Fische einsalzen, das wortreiche Feilschen zweier Männer, von Neugierigen umstanden, die sich nicht auf den Preis für einen Manta einigen können ... "Hey, look!", ruft ein mit drei Kameras Behängter seinen Begleitern zu und deutet in eine Richtung. Die anderen folgen ihm mit den Blicken, wir ebenfalls. "What is it?", ertönt ein Stimme, während der mit den Kameras sich bereits in Bewegung setzt. Wir folgen der Gruppe, und als wir das Ziel erreichen, sind wir ebenso überrascht wie diese. Dutzende Matten liegen auf der Erde, auf ihnen unzählige kleine Fische. Wie Silber glitzern sie in der Sonne, die ihnen die Feuchtigkeit entzieht, um sie auch über den Tag hinaus haltbar zu machen. Wir sind beeindruckt, ganz im Gegensatz zu den Einheimischen, für die das Ausschütten und das Verteilen, das wieder Einsammeln und das in Körben Davontragen alltägliche Arbeit ist. Katzen, Hunde und Vögel gibt es an diesem Ort nur wenige, sie wissen, dass man sie hier konsequent verscheucht. Aber sie wissen ebenfalls, dass es Stellen gibt, an denen man sie gewähren lässt: bei den Abfällen, wo sie denn auch in großer Zahl anzutreffen sind. Beinahe so zahlreich wie die Fliegen, für die dieser Markt das Paradies sein muss.
 
Plötzlich steigt uns ein Geruch in die Nase, und noch im selben Moment wissen wir, woher er rührt: von gebratenem Fisch. Irgendwo in der Nähe muss eine Garküche sein, vielleicht auch mehrere. Wir schauen uns um und entdecken einige Rauchwölkchen, die sich inmitten einer Menchenmenge sanft in den Himmel kräuseln. Gleich darauf stehen wir vor den Garküchen, kleinen, primitiven Kochstellen, auf denen Fische braten, manche bereits von goldbrauner Farbe, so dass man schon das leise Knacken der Haut beim Hineinbeißen zu hören meint, an-dere eben erst auf den Rost gelegt, mit Öl bestrichen und nun fettig glänzend in der Sonne. Das Versprechen eines exquisiten Genusses frisch aus dem Meer. Gäbe es hier ein Werbeplakat, so stünde vermutlich darauf "Etwas Besseres findest du nicht!". Wir schlagen zu. "Good?", erkundigt sich die Frau hinter dem Rost, während Fett unsere Mundwinkel hinabläuft. Die Frau ist alt, ihr ledriges Gesicht besteht nur noch aus Falten. "Good!", entgegnen wir. Dann beschreibe ich mit der Hand einen Kreis, der alles um uns herum einschließt: den Strand und die Boote, die Menschen, die Fische, die Palmen am Ende des Strandes und die Häuser und Hütten, und bestens gelaunt sage ich noch einmal "Good!". Die Frau murmelt Zustimmung und holt dann einen weiteren Fisch aus einer Schüssel. Sie schaut uns an. "Good?", fragt sie, während sie den Fisch bereits auf den Rost legt. Na klar!