Tuareg.

 

Begegnungen in der Sahara. Algerien 1990 (Fotos: 1980 und 1990)

 

 

Es gibt Nasi Goreng an diesem Abend, aus einer Büchse natürlich, und da die Portion für zwei Personen nicht ausreichend ist, bereiten wir uns noch eine Packung Spaghetti. Das Geräusch unseres Kochers mischt sich mit dem Rauschen des Windes. Es ist dunkel - eine dünne Mondsichel, die Kochflamme, dazu die trübe Innenbeleuchtung unseres VW-Busses, das ist alles. Einsam ist es auch, denn wir sind mitten in der Sahara. Vor zwei Tagen sind wir in Djanet nahe der libyschen Grenze aufgebrochen, inzwischen haben wir die Ausläufer des Hoggar-Gebirges erreicht. Außer fünf Autos haben wir an diesem Tag niemanden getroffen. Für die Nacht haben wir uns unmittelbar neben die Piste gestellt, da das Gelände uns keine Wahl ließ. Plötzlich tauchen in einiger Entfernung die Scheinwerfer von drei Autos auf, die auf uns zuhalten. Ungeachtet der Dunkelheit und als wären sie auf einer gut ausgebauten Asphaltstraße unterwegs und nicht auf einer Piste, nähern sie sich schnell. Unser Puls beschleunigt sich, als die Wagen wenige Meter vor uns anhalten. Wir stehen im vollen Scheinwerferlicht, während wir selbst nichts erkennen. Adrenalin schießt durch unsere Adern. Kämen die Unbekannten in böser Absicht, so hätten wir nicht die Spur einer Chance gegen sie. Mit einem hässlichen Geräusch - so empfinden wir es in diesem Moment - gehen mehrere Autotüren auf und fünf Männer steigen aus. Sie sind groß und schlank, wie wir feststellen, als Licht auf sie fällt. Bekleidet sind sie mit bodenlangen Gewändern, ihre Köpfe sind fast vollständig von weißen Lithams verhüllt, jenen bis zu fünfzehn Meter langen, kunstvoll drapierten Gesichtsschleiern, zwischen denen einzig die Augen hervorschauen. Tuareg also, die Ritter der Wüste, wie sie romantisierend oft genannt werden. Inständig hoffen wir, dass sie sich auch wie Ritter verhalten. Einer von ihnen lüftet seinen Schleier, und wir erkennen, dass er uns freundlich zulächelt. Ich wische mir ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Es folgt eine kurze Konversation, auf Französisch geführt, woher wir kommen, wohin wir wollen, wie es uns geht. Dann die Frage, ob wir Motoröl für sie hätten. Wir haben nur eine begrenzte Menge, die wir für uns selbst brauchen, also setze ich eine bedauernde Miene auf und sage nein. Der Sprecher zeigt sich enttäuscht, verliert aber keine Sekunde seine Freundlichkeit. Noch ein paar Worte, dann sitzen die fünf auch schon wieder in ihren Fahrzeugen, drei wüsten-optimalen Jeeps, und rasen in einem Tempo davon, das wir uns mit unserem untermotorisierten, zweiradgetriebenen, viel zu tief liegenden VW-Bus auf einer Piste nie würden erlauben dürfen. Zwei Minuten später sind die Autos mit der Dunkelheit verschmolzen, und wir sind wieder allein.

 

Tuareg haben wir in der Sahara immer wieder getroffen, jene Herren der Wüste, über die die schillerndsten Erzählungen in Umlauf sind. Perfekt an das Leben in der lebensfeindlichen Landschaft angepasst, eingeordnet in eine Sozialstruktur, die neben Adligen auch Sklaven kennt (deren Status allerdings mehr dem naher Verwandter ähnelt), sind sie in früheren Zeiten Viehzüchter und Krieger gewesen, angesehene Karawanenführer, aber ebenso gefürchtete Räuber. In den letzten Jahrzehnten hat sich ihre Lebensweise verändert. Zwar ist für viele noch immer die Viehzucht die Grundlage ihrer Existenz, als Krieger treten sie dagegen nur noch selten in Erscheinung, so etwa unlängst im Norden von Mali. Dafür haben sich viele dem Tourismus zugewandt, sie führen Fremde durch die Wüste oder fertigen Schmuck als Andenken für sie. Wieder andere arbeiten für den Staat. Zu erkennen sind Tuareg an den Schleiern, mit denen sie ihre Gesichter verhüllen - oft vollständig bis auf die Augen, oft eher nachlässig, so dass der größte Teil des Gesichts freibleibt. Stets aber sind es ausschließlich die Männer, die einen solchen Schleier tragen. Warum sie das tun? Genau scheint das niemand zu wissen, es gibt verschiedene Versuche einer Erklärung. So behauptet eine etwa, die Männer müssten sich auf diese Weise vor den Geistern der Toten schützen, die versuchten, auf dem Weg über den Mund Besitz von den Lebenden zu erlangen. Was natürlich die Frage aufwirft, warum das nur für die Männer gilt und nicht auch für Frauen.

"Kel Essuf " - so heißen die Unsichtbaren, von denen es unzählige gibt, böse sowohl als auch gute. Alles ist von ihnen bewohnt. Sie reiten im Wind, sie verbergen sich im Sand, sie zaubern die Fata Morganas herbei, die die Dürstenden ins Verderben locken, sie schicken Krankheiten, ja selbst der Sturz von einem Kamel geschieht nicht ohne ihr Zutun. Gegenmittel gegen ihre schädlichen Einflüsse sind Amulette, ohne die kein Targi je aus seinem Zelt oder aus seinem Haus gehen würde. Oft handelt es sich um in Leder eingebundene magische Zeichen, mitunter sind es Steine, Teile von Tieren oder getrocknete Pflanzen. Bei den Frauen kommt häufig noch eine Art Fatima-Hand hinzu, wie sie die Moslems kennen. Aber wie jeder Träger eines Amuletts weiß, ist das so eine Sache mit ihnen: Helfen sie, ist es gut - helfen sie nicht, muss man sich Hilfe von woanders holen. Etwa, wenn einer krank geworden ist, weil sein Amulett versagt hat. Für solche Fälle stehen wie bei allen Völkern Heilkundige bereit. Handelt es sich allerdings um einen minderschweren Fall, so dürfen auch schon mal zufällig vorbeikommende Touristen die Sache in die Hand nehmen. Beispielsweise wir.

 

Es ist der Tag nach der abendlichen Begegnung der unheimlichen Art, wir sind wieder auf der Piste, als uns gegen Mittag ein Lastwagen überholt. Der Wagen setzt sich vor uns, und der Fahrer bedeutet uns zu halten. Ich trete auf die Bremse. Mehrere Tuareg klettern aus dem Fahrerhaus und von der Ladefläche und berichten, dass zwei von ihnen krank seien und ob wir denen vielleicht helfen könnten. Wir können, da wir schnell begreifen, was es mit den "Krankheiten" auf sich hat. Ein Griff in unseren Medizinbeutel zaubert ein paar Kopfschmerztabletten für den einen hervor, etwas Desinfektion und einen Verband für den leicht verletzten Finger des anderen, den wir anlegen, während seine Freunde uns dabei neugierig beobachten. Ein paar Worte als Dank, gute Wünsche für die Weiterfahrt, und schon besteigen die Männer wieder ihren Wagen, und der Fahrer gibt Gas. Wir folgen ihnen, aber nur kurze Zeit, denn im Nu haben sie uns abgehängt und sind in einer Staubwolke verschwunden. Sorgfältig auf jedes Schlagloch achtend, setzen wir unsere Fahrt fort, die Karte wieder in der Beifahrerhand, in unserem Blickfeld auf dem Armaturenbrett der Kompass, der uns die Richtung weist. Ein wenig wie lahme Enten fühlen wir uns in diesem Augenblick, und einmal mehr wird uns bewusst: Allen Tabletten, allen sterilen Verbänden und Desinfektionen zum Trotz - es ist ihre Welt. Wir sind hier nur Gäste.