Wie aus einem 16jährigen

 

Schüler ein Karpfen wurde

 

Schiffsreise nach Südamerika, 1966

 

  

Ich beginne die Berichte über meine Reisen deshalb mit diesem Beitrag, weil er meine erste Reise betrifft. Ein Südamerika-Törn auf der "Cap San Lorenzo", einem Frachter der Reederei HSDG, von dem heute ein Schwesterschiff als Museumsschiff im Hamburger Hafen liegt. Sieben Wochen war ich mit einigen weiteren Schülern unterwegs, von Hamburg nach Santos in Brasilien, dann nach Montevideo in Uruguay, in das nicht weit entfernte Buenos Aires in Argentinien und wieder zurück. Für mich war das damals ein ganz großes Abenteuer, auch wenn wir nicht als umsorgte Passagiere an Bord waren sondern als Schiffsjungen, die arbeiten mussten. Vor allem das "Roststechen" wird mir in ewiger Erinnerung bleiben, der Kampf gegen den allgegenwärtigen Rost mit einem spachtelähnlichen Gerät. Von ganz anderer Qualität war da schon das Wachestehen auf der Brücke, insbesondere nachts, wenn sich der Himmel mit Tausenden und Abertausenden von funkelnden Sternen über uns spannte. Ein dahingleitendes Schiff, in jeder Richtung auf Tausende Kilometer nichts anderes als Wasser und dazu dieser Himmel voller Sterne. Eine Offenbarung!

 

Indes gibt es kein Licht ohne Schatten, und um die Schatten geht es in diesem Bericht. Wer den Äquator das erste Mal überquert, wird getauft. Das war schon immer so. Generationen von Seeleuten mussten das über sich ergehen lassen, und auch wir - wiewohl Schüler und keine Seemänner - wurden davon nicht ausgenommen. Keine angenehme Prozedur, nicht mehr so hart wie in früheren Zeiten, aber schlimm genug. Doch auch bei einer Äquatortaufe ist es nicht anders als bei einer beliebigen Prüfung: Hat man sie hinter sich gebracht, sind die Leiden nur noch Erinnerung, und man ist gänzlich von der Freude über das Geschaffte durchdrungen. Und so nahmen wir denn auch stolz unsere Taufscheine in Empfang, und als wir am Abend um die Bierkästen saßen ...

 

Aber ich greife vor. Zuerst kam die Taufe, und dann das Vergnügen. Den Ablauf der Prozedur will ich im Folgenden widergeben. Allerdings nicht in Worten, die ich heute niederschreibe - nein, es gibt einen Brief an meine Familie aus jener Zeit, in der ich das Ereignis geschildert habe. Ich habe diesen Brief um der Authentizität willen eingestellt, denn näher bei dem Geschehen kann ich nicht sein. Für meine Handschrift haben mich meine Lehrer damals zurecht gerügt, wie ich heute einsehe. Und was die Wortwahl betrifft - es sind die Worte eines 16jährigen mit einer recht plastischen Ausdrucksweise, flapsigen Bemerkungen, mitunter mit einer bewusst "coolen" Diktion. Auf den Brief folgen die Bilder. Es sind die ersten, die ich in meinem Leben fotografiert habe, und es sind gleichzeitig die qualitativ schlechtesten, die mir geblieben sind. Um ein Haar hätte ich sie vor einigen Jahren weggeworfen, aber dann eröffnete die digitale Technik auf einmal die Möglichkeit, solche Bilder wenigstens teilweise wiederzubeleben. Ich hoffe, das Ergebnis reicht aus, um einen Eindruck von (m)einer Äquatortaufe im Jahre 1966 zu vermitteln.

 

Manfred Lentz